Offiziell soll die Polizei Verbrechen aufklären und bekämpfen, dafür setzt sie aber nicht nur BeamtInnen in Uniform ein, sondern auch PolizistInnen in Zivil, die für einen Einsatz ihre Dienstkleidung ablegen, um nicht erkannt zu werden. Während die Polizei als Exekutive ermitteln und festnehmen kann, braucht es wegen der Gewaltenteilung für die Verurteilung von StraftäterInnen die Judikative in Form von Gerichten. Vor Gericht gilt der Grundsatz in dubio pro reo, also im Zweifel Freispruch für die angeklagte Person, sofern deren Straftat nicht nachzuweisen, sondern nur zu vermuten ist. PolizistInnen in Zivil agieren daher oft verdeckt, um mögliche VerbrecherInnen nicht davon abzuhalten, das geplante Verbrechen auch umzusetzen, da nach Taterfolgung die Beweislast deutlich erdrückender ist.
Neben BeamtInnen in Zivil, die oft nur für einen Einsatz ihre Uniform ablegen, existieren noch verdeckte ErmittlerInnen, also PolizistInnen, die mit einer Tarnidentität versehen in kriminelle Kreise eingeschleust werden, um diesen auf die Schliche zu kommen und genügend Beweise zu sammeln. In den letzten Jahren sind immer wieder verdeckte BeamtInnen in linken Strukturen enttarnt worden, einige Beispiele sind in der sehr sehenswerten Dokumentation Im inneren Kreis (http://www.iminnerenkreis-doku.de/) vorgestellt worden. Die verdeckten ErmittlerInnen hatten enge Freundschaften und sogar intime Beziehungen mit AktivistInnen aufgebaut, um an Informationen zu kommen. Aufgrund dieser massiven Eingriffe in die Privatsphäre kam es zu Diskussionen um die Verhältnismäßigkeit solcher Maßnahmen, insbesondere wenn sie nicht zur Terrorabwehr, sondern zur Ausspähung politisch unliebsamer Gruppen dienten.
Weil es in besonders verschlossenen Kreisen aber zu auffällig wäre, von außen eine fremde Person einzuschleusen, wird auch mit V-Personen gearbeitet, werden also InformantInnen in der Szene angeworben. Teilweise werden juristisch große Geschütze gegen sie aufgefahren und sie somit massiv unter Druck gesetzt, um sie dann mit der Aussicht auf Strafmilderung zur Kooperation zu zwingen, teilweise haben V-Leute auch andere Beweggründe: DW betitelte einen Artikel zum Thema “V-Leute wollen Geld und Aufmerksamkeit”. Auch der Einsatz dieser Personengruppe ist alles andere als unumstritten. Dr. Anna Luise Decker schrieb in einem Gastbeitrag auf netzpolitik.org, der derzeitige Einsatz sei schlicht “illegal” und verwies auf folgende kritischen Punkte: “V-Leute haben, anders als Polizisten, keinen Dienstherren. Sie besuchen weder die Polizeischule noch unterliegen sie einem Eignungstest” (https://netzpolitik.org/2019/warum-der-derzeitige-einsatz-von-v-personen-durch-die-polizei-illegal-ist/). Der ehemalige V-Mann Tino Brandt beispielsweise wurde 2014 wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen und deren Vermittlung an andere Erwachsene zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Zudem wäre es V-Personen ähnlich wie verdeckte ErmittlerInnen möglich, “derart tief in die Privatsphäre einzutauchen, wie es nicht einmal Telefonüberwachung vermag”, was auch bedeute, dass es einen massiven Eingriff in die “Grundrechte der Zielpersonen” gebe, so Decker weiter (https://netzpolitik.org/2019/warum-der-derzeitige-einsatz-von-v-personen-durch-die-polizei-illegal-ist/).
Darüber hinaus stellt sich vor allem die Frage, wie moralisch vertretbar es ist, dass im Auftrag des Staates Straftaten verübt werden, damit die V-Leute in der Szene nicht auffallen oder sich im Gegenteil sogar als Führungspersonen etablieren können. Der ehemalige V-Mann “Tarif” reflektierte in der ARD-Dokumentation V-Mann-Land: „Wenn ich ein Konzert organisiere, wo 600 Nazis mit erhobenem Arm dastehen, dann stimmt irgendwas nicht. Da habe ich im Prinzip als verlängerter Arm des Staates dafür gesorgt, dass 600 Leute diese Straftat verübt haben. Das zeigen des Hitlergrußes ist ja nun verboten. Ich habe im Prinzip im Auftrag des Staates Leute dazu gebracht, Straftaten zu begehen.“ Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau kam angesichts dieser Tatsache sowie des Faktes, dass V-Personen die zur Verfügung gestellten Gelder zur Finanzierung der Szene nutzten, sogar zu dem Schluss: „Der Verfassungsschutz half, Verfassungsfeinde aufzubauen, anstatt die Verfassung zu schützen“ (https://www.deutschlandfunk.de/bundesverfassungsgericht-v-leute-problematik-im-npd.724.de.html?dram:article_id=319769).
Zu guter Letzt ist das Arbeiten der V-Leute intransparent und entzieht sich einer demokratischen Kontrolle. Zeitweise verlieren selbst die AuftraggeberInnen den Überblick: “In Nordrhein-Westfalen waren sowohl der NPD-Landesvorsitzende Udo Holtmann als auch sein Stellvertreter Wolfgang Frenz V-Leute – für verschiedene Verfassungsschutz-Ämter.” Daran scheiterte u.a. auch das erste NPD-Verbotsverfahren, wobei Gerichtsverfahren ohnehin im Kontext der V-Leute immer sehr heikel sind, da die Polizei ihre Quellen schützen möchte: “Eine vollständige Liste der V-Leute wollten die Behörden zum Schutz ihrer Quellen aber nicht in den Prozess einführen” (https://taz.de/NPD-Verbotsverfahren-in-Karlsruhe/!5283459/). Das führt bisweilen zu dem Paradox, dass die juristische Aufarbeitung durch das Vorhandensein von V-Leuten eher behindert als vorangetrieben wird, so auch im NSU-Verfahren: “Sieben vermeintliche Sicherheitsbehörden – von Verfassungsschutzämtern bis Militärischem Abschirmdienst – führten insgesamt 40 V-Männer und V-Frauen im Umfeld des Trios. Bis heute sind nicht alle Identitäten der Spitzel geklärt […] das liege auch daran, dass Akten vernichtet und Beweismittel zurückgehalten würden” (https://taz.de/Die-NSU-Serie-Teil-2/!5350062/). Ein Bericht des Verfassungsschutzes über hessische NSU-Kontakte wurde für 120 Jahre als geheim eingestuft (https://taz.de/Kommentar-Geheimhaltungsfrist-beim-VS/!5423654/).
Trotz aller Kritikpunkte werden nach wie vor V-Personen eingesetzt, auch in der Rocker-Szene.