Borcherts Netzwerk

Borcherts aktuelles Netzwerk beginnt bei seinen “Bandidos” und ihren Unterstützervereinen in der Umgebung, umfasst aber wie im Kapitel Innenstadt gesehen inzwischen auch mehrere Läden in Neumünster. Über seinen Kameraden Alexander Hardt bestehen enge Verbindungen zum An- und Verkauf-Geschäft “Grüne Scheibe” am Vinetaplatz in Kiel-Gaarden, das inzwischen auch Clubheim der “Bandidos”-Supporter “Mexicanos” ist. Des Weiteren hat es Borchert geschafft, alte Kameraden aus der Naziszene um sich zu scharen. Dieser Kreis erstreckt(e) sich von ehemaligen NPD-Kontakten über die rechte Kampfsportschule “Athletik Klub Ultra” und den inzwischen geschlossenen Neonazitreffpunkt “Club 88” bis hin zu rechtsterroristischen Gruppen wie Combat 18, die wir im Kapitel Hardt bereits unter die Lupe genommen haben, oder gar dem NSU.

Kristallisationspunkt für das Zusammenlaufen von NSU und Borcherts Netzwerk ist der 05.04.2003. An dem Tag fand in Neumünster die so genannte “Wehrmachtsausstellungsdemo” der Nazis statt, am selben Abend folgte ein Konzert mit der “Combat 18”-Band Whitelaw. Beide Veranstaltungen wurden von Peter Borchert und aus dem “Club 88”-Umfeld, als dessen Sprecher Borchert damals auftrat, organisiert und von Mitgliedern des NSU bzw. anderen hochrangigen Neonazis, die später traurige Berühmtheit erlangen sollten, besucht.

„Verbrechen der Wehrmacht – Dimension des Vernichtungskrieges 1941-1944“ ist der vollständige Name der meist als Wehrmachtsausstellung titulierten Dokumentation, die im März und April des Jahres 2003 in Neumünster gezeigt wurde. Die Ausstellung belegt eindrucksvoll: Die Wehrmacht war als Gesamtorganisation an den Verbrechen im zweiten Weltkrieg beteiligt und hat ihren Beitrag geleistet zum Vernichtungskrieg gegen Juden, Kriegsgefangene und Zivilbevölkerung. Es waren eben nicht nur, wie nach 1945 versucht wurde darzustellen, einige besonders fiese Führer und Generäle, die die Verbrechen quasi im Alleingang begangen: Sondern normale Deutsche, die in ihrem Hass, in ihrem Rassismus, in ihrem Männlichkeitswahn und Nationalismus oder bedingungslosem Gehorsam aktiv für die Ziele des „Dritten Reichs“ gerade standen. Im Nachhinein wurde nach 1945 das Bild einer „sauberen“ Wehrmacht konstruiert, welches dazu diente, einen bis heute gültigen Mythos zu schaffen, der eine ganze Generation von ihrer geschichtlichen und individuellen Verantwortung befreien sollte, sowie eine Bundeswehr zu gründen, die ohne ehemalige Wehrmachtssoldaten nicht hätte aufgebaut werden können. Zur Zerstörung dieses Mythos und zur Aufarbeitung unserer Geschichte leistete diese Ausstellung einen wichtigen Beitrag.

Begleitet wurde die Ausstellung seit ihrer Eröffnung im März 1995 von Aufmärschen von Alt- und Neonazis. Als 1999 in Saarbrücken die Ausstellung zu sehen war, wurde eine Woche, nachdem 400 Neonazis gegen sie demonstriert hatten, ein Sprengstoffanschlag auf die Ausstellung verübt. In Neumünster stürmten am 26.04.2003 die “Nationalen Sozialisten Pinneberg” die Ausstellungsräume und warfen Papierschnipsel mit NS-verherrlichenden Propagandaparolen umher. Zur Erinnerung: Der Kern der Aktivitäten der damaligen “Combat 18”-Zelle, für die Borchert als Waffenlieferant aktiv war, lag in Pinneberg.

An der Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung in Neumünster nahm auch der vermutliche Lübcke-Mörder Stephan Ernst teil, der am Rande der Demonstration eine Gegendemonstrantin angriff und hierfür später auch verurteilt wurde (https://www.rnd.de/politik/mordfall-lubcke-neue-spur-fuhrt-nach-schleswig-holstein-GEAQA6HUL5EWBG5PY4QMXUAMLE.html). Ebenfalls unter den TeilnehmerInnen war der bereits einleitend erwähnte V-Mann Tino Brandt, der Pressesprecher des “Thüringer Heimatschutzes” war – der Gruppe, aus dessen Umfeld sich der NSU rekrutierte und der Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos als Unterstützernetzwerk diente.

Auf einer Telefonliste, die in der Asche der ausgebrannten NSU-Wohnung in Zwickau gefunden wurde, stand auch der “Club 88”, also die Struktur, mit der Borchert die Wehrmachtsausstellungsdemo vorbereitet hatte. Borchert selber nahm 2002, also ein Jahr vor der Demonstration in Neumünster, gemeinsam mit Mitgliedern des “Thüringer Heimatschutzes” an einem Aufmarsch in Weimar teil.

Das Whitelaw-Konzert, das am Abend nach der Demonstration in einer unter falschem Vorwand angemieteten Lagerhalle stattfand, wurde von der Polizei aufgelöst, wobei die Personalien der BesucherInnen aufgenommen wurden. Nicht nur bundesweite Nazigrößen wie David Petereit und Andreas Knüppel wurden dabei kontrolliert, sondern eben auch Alexander Hardt. Noch brisanter: Unter den protokollierten Namen befindet sich auch NSU-Unterstützer Holger Gerlach, der im NSU-Prozess zu drei Jahren Haft verurteilte wurde. Die Ermittlungen hatten aufgedeckt, dass Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos im Untergrund oft von KameradInnen geliehene Papiere nutzten, um bei Polizeikontrollen nicht aufzufliegen – so hat Gerlach Böhnhardt seinen Ersatzführerschein sowie seinen Pass überlassen. Brisanterweise taucht der Name Holger Gerlach dann auch zwei Mal in den Polizei-Protokollen vom 05.04.2003 auf, und das auch noch mit zwei verschiedenen Meldeadressen. Eine Unregelmäßigkeit, die, wenn sie der Polizei damals aufgefallen wäre, die NSU-Mordserie deutlich früher hätte beenden können – vorausgesetzt, es hätte bei der Polizei die Absicht bestanden, diese Mordserie  wirklich zu beenden, was angesichts der rassistischen Ermittlungsstrategien (“Dönermorde”) und der tatkräftigen Unterstützung des Trios durch V-Männer nicht ausgemacht ist.

Im NSU-Prozess wurde zudem aufgedeckt, dass das Ehepaar Silvia und Alexander Scheidemantel das Terrortrio mit Krankenkassenkarten, Büchereiausweisen etc. versorgt hatte. Die Personalausweisdaten von Alexander Scheidemantel wurden in Neumünster ebenfalls aufgenommen, so dass davon auszugehen ist, dass neben NSU-Unterstützer Holger Gerlach auch Böhnhardt und/oder Mundlos dem Ruf Borcherts folgten und an dem Konzert teilnahmen.

Alexander Hardt besuchte 2005 dann einen Naziaufmarsch in Gedenken an den Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess im dänische Kolding – zusammen mit dem NSU (https://quimera.noblogs.org/2013/die-deutsch-danische-connection-npd-blood-and-honour-und-der-nsu/).