Die Rückeroberung der Innenstadt
Um das Jahr 2010 hatten die “Bandidos” um Borchert und Hardt sich auch in der Innenstadt von Neumünster breit gemacht: Sie trainierten gemeinsam im “Athletik Klub Ultra”, gingen im Subway ein und aus, zeigten regelmäßig Präsenz in der Innenstadt, besuchten die Nazikneipe “Titanic”, betrieben ein Tattoostudio in der Gasstraße, etc. Auch das Vereinsverbot konnte daran zunächst wenig ändern, nach dem Verbot der “Bandidos” und der “Hells Angels” im April 2010 durch den Innenminister Schleswig-Holsteins trugen viele der Neumünsteraner “Bandidos” kurzerhand Kutten der Chapter in Berlin oder Padborg. Borchert, damals noch normales Mitglied des Clubs, wurde im April 2011 zu einer Haftstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Auch wenn er seine Prostituierten aus seiner Gefängniszelle weiter für sich laufen ließ, reduzierten sich seine Aktivitäten in dieser Zeit naturgemäß. Geschwächt wurde die Rockerszene in Neumünster, die von Anfang an mit Nazis durchsetzt war, aber auch durch deren Niedergang bzw. interne Streitigkeiten: Anfang 2014 wurde der europaweit wichtige Neonazitreffpunkt “Club 88” in Neumünster-Gadeland geschlossen, Anfang 2015 kam es zum Verwürfnis zwischen der Crew der Nazikneipe “Titanic” und den “Bandidos”, weil der Wirt und sein Sohn u.a. gegen Borchert und Hardt ausgesagt hatten. Der blutige, u.a. auf territoriale Expansion zielende “Rockerkrieg” war indes überwiegend vorbei und eine Konsolidierungsphase trat ein – eine Phase, die weniger durch Präsenz auf der Straße als durch Vernetzungsarbeit im Hintergrund bestimmt wurde.
Als 2017 mehrere Personen aus der “Bandidos”-Führungsriege in Neumünster ausgetreten sind, witterte Peter Borchert seine Chance. Borcherts “Combat 18”-Zelle war zerschlagen worden, seine neonazistische Schlägertruppe “AG Kiel” hatte sich aufgelöst, als ehemaliger NPD-Landesvorsitzender war er aus seiner eigenen Partei ausgeschlossen worden – bei den “Bandidos” war hingegen ein Machtvakuum entstanden, das er nutzen wollte. Dabei sah er sich mit zwei Problemen konfrontiert: Einerseits musste er dabei die personellen Lücken bei den “Bandidos” füllen. Dafür holte er z.B. “Bandidos”-Anwärter oder -Mitglieder zurück, die zuvor wegen charakterlicher Schwächen abgelehnt oder gar ausgeschlossen worden waren. Zu dieser Gruppe gehört der ehemalige “Hells Angel” Matthias Stutz. Zudem nutzte Borchert einmal mehr seine Kontakte in die Naziszene: Anders als viele aus der alten “Bandidos”-Riege hatte Alexander Hardt Borchert seine Treue erwiesen, auch der Präsident der “Bandidos”-Supporter “Contras”, Daniel Langfeldt, der schon Ende der 1990er zur Neumünsteraner Naziszene gehörte, war noch an Bord. Neu anwerben konnte Borchert z.B. René Walberg, mit dem Borchert bereits im Jahre 2002 die extrem rechte Kampfsportschule “Athletik Klub Ultra” gegründet hatte, oder Jan Decker, der Ende der 1990er mit anderen Stiefelnazis die kleine Gemeinde Wasbek unsicher machte.
Andererseits schaute die Polizei Borchert genau auf die Finger, weshalb er es unterließ, seine Aktivitäten offiziell unter dem Label der “Bandidos” laufen zu lassen. Zudem dezentralisierte er die Club-Aktivitäten: Mit den „Contras Neumünster“, den „North Skulls“, den „Holsten MC“ aus Langwedel, den „Halvards MC“ aus Heide sowie den „Mexicanos“ aus Kiel gibt es inzwischen verschiedene Unterstützergruppen in Neumünster und im Umland, die vom Vereinsverbot nicht betroffen sind und auch schwer alle auf einmal verboten werden könnten.
Um sich wieder fest im Herzen Neumünsters anzusiedeln und neue Geschäftswelten zu erschließen, sollte ein Tattoo Shop in bester Lage eröffnet werden. In Kiel hatte sich jedoch gezeigt, dass es jede Menge antifaschistischen Gegenwind und mediale Aufmerksamkeit zur Folge hat, wenn ein bekannter Nazi wie Alexander Hardt einen Laden betreibt, erst recht, wenn dann auch noch Borcherts Name mit auf dem Klingelschild steht. So entstand wohl die Idee, bei den “Bandidos” Neumitglieder mit der Aussicht auf eine Vollmitgliedschaft, die Anerkennung und einen Aufstieg in der clubinternen Hierarchie bedeutet, zu ködern, wenn sie im Gegenzug ihren Namen für das Betreiben des Tattoo Studios hergeben. Borchert machte beispielsweise Matthias Stutz dieses Angebot, im Gegenzug sollte Stutz als offizielle Kontaktperson für “Famous” dienen, da Borchert selbst durch seine einschlägige Vergangenheit eine zu große Angriffsfläche geboten hätte. Da aber auch Stutz keine ganz weiße Weste hat (2017 wurde er dafür verurteilt, mit anderen „Bandidos“ einen verfeindeten Rocker niedergestochen zu haben), wurde als weiterer Strohmann Christian Franz eingesetzt. Peter Borchert vermeidet es auf diese Weise, dass sein Name in offiziellen Papieren von “Famous”, das seinen Sitz zunächst in der Holstenstraße hatte, auftaucht, ist aber eigentlich die treibende Kraft hinter dem Team.
Die Kampagne “Kein Fame für Famous” hat zusammengefasst, welch zentrale Rolle Borchert spielte: “Nicht nur, dass Borchert regelmäßig im Store in der Holstenstraße anzutreffen war, die offizielle Kleidung des ‘Famous’-Teams trug, hinterm Tresen stand, hier ans Telefon ging, als einziger Mitarbeiter detailliertere Fragen beantworten konnte und es selbst in die Hand nahm, KritikerInnen aus der Nachbarschaft zu bedrohen – auch im Netz antwortete Borchert auf Nachfragen an die offizielle ‘Famous’-Facebook-Seite von seinem privaten Account und benutzte dabei das entlarvende Personalpronomen ‘wir’, mit dem er sich als Teil der ‘Famous’-Crew outete. Gut möglich ist dabei auch, dass Borchert die ‘Famous’-Seite als Administrator verwaltet und auf Facebook aus Versehen nicht im Namen der Seite, sondern im Namen seines privaten Accounts antwortete – dies geschieht schnell, wenn Admins einen Klick zu wenig tätigen.”
Bisheriger Höhepunkt der Wiedereroberung der Innenstadt war der Umzug von “Famous” in die bahnhofsnahe Shopping-Mall “Holstengalerie”, zumal mit dem “Notorious” zeitgleich ein weiterer Tattoo-Laden des Teams am Großflecken eröffnete und am Brunnenkamp die Bar “The Edge” betrieben wurde.
“Famous”-Chef Stutz zeigt sich auf vielen Photos Arm in Arm mit seinen “Bandido”-Brüdern Hardt und Borchert. Hardt war es auch, der sich nach den Protesten gegen die Verstrickungen des Tattoo-Ladens für das Team in Neumünsteraner Facebook-Gruppen in die Bresche schmiss und es gegen Kritik verteidigte. Einige Monate später schickte er nun einigen KritikerInnen von seinem Instagram-Account “walterxwilhelm” eine Morddrohung: Mit einem psychopathischen Lächeln im Gesicht klappt er ein imaginäres Messer auf und deutet an, den EmpfängerInnen seiner Drohung die Kehle durchzuschneiden. Aufgenommen wurde das Video in der Lifestyle-Bar “The Edge”, die ebenfalls den “Famous”-Betreibern gehört.